Azra
Im Laufe der Jahre sind uns viele Menschen ans Herz gewachsen, bei Rashmiya und ihren Kindern fällt dies besonders leicht. Sie sind sehr herzlich und auf eine natürliche Art dankbar, die für keine Seite schlechte Gefühle aufkommen lässt.
Ihre Paten Tom und Moni hatten ihnen (entgegen unserer Empfehlung) zu Weihnachten ein Packet geschickt. Da dieses beim Zoll in Galle hängen blieb und in Gegenwart der Zöllner geöffnet werden musste, bescherte es Rashmiya eine fünfstündige Busfahrt (ein Weg). Wir haben gelacht über ihre Beschreibung der Geschehnisse: Im Paket hatte es neben Geschenken für die Kinder ein Fotoalbum, dass Tom mit Fotos seiner Familie und Fotos von Rashmiyas Familie, die Michel ihm zur Verfügung gestellt hatte, toll gestaltet hatte. Alle Beamten seinen dicht gedrängt hinter ihr gestanden und hätten das Album bestaunt.
Dann war es an uns zu staunen: Es wurden alle Geschenke in Originalzustand vorgeführt, sogar das Auto für Azras kleinen Bruder Azeem war noch in der Originalpackung. Sie hätten uns die Geschenke erst zeigen wollen, bevor sie sie benutzen würden. Einzig das Album war geöffnet worden und Rashmiya zeigte uns die Stelle, wo sich eine grössere Schweizer Banknote befunden hatte.
Sie hätte dieses Geld benutzt, um einen Kühlschrank anzuzahlen. Der Kühlschrank wurde stolz vorgeführt und sie betonte, dass sie nicht einmal die Türe öffnen würde, ohne dabei an Tom und Moni zu denken. Ihre Versicherungen, um wie vieles einfacher ihr Leben mit Kühlschrank sei, waren leicht nachvollziehbar. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass mir bei der spärlichen Möblierung das Fehlen eines solchen gar nicht aufgefallen war.
Als wir ankamen war gerade ein Arbeiter damit beschäftigt, die fehlenden Fensterflügel im Wohnraum einzubauen. Die hätten sie 8000 Rupien (ca. CHF 56) gekostet und sie hätte bereits 6000 Rupien davon bezahlen können. Auch auf diese Errungenschaft war sie sichtlich stolz.
Diesmal wollte ich mir die Gelegenheit eine Ente zu kaufen nicht entgehen lassen, und Rashmiya zeigte ein besonders fettes Exemplar vor. Mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen, als Michel das Vorhaben fast zum Scheitern gebracht hätte. Mit sichtlichem Bedauern für das Tier fing er an zu schimpfen, Wörter wie pervers und Sauerei benutzte er gleich mehrere Male. Um nicht einzuknicken, ging ich zum Gegenangriff über: „ Denkst Du allen Ernstes, dass dein heissgeliebtes Hühnchen-Curry auf Bäumen wächst“!?
An diesem Abend ass Michel vegetarisch, er liess nicht nur die Ente, sondern auch das Hühnchen Curry wortkarg liegen. Am nächsten Tag war aber alles vergessen.
Rashmiya hatte mir einen grosszügigen Rabatt für die Ente einräumen wollen. Wir rundeten den Betrag stattdessen auf und entlohnten sie auch fürs Kochen. Zudem gaben wir ihr den fehlenden Betrag für das Fenster und zwei Raten für den Kühlschrank.
Manchmal denke ich, dass die Besitzer der Villen besser zu Fuss als mit den Helikoptern von ihren Hügeln steigen sollten – die hätten viel mehr zu geben als wir. Andererseits kann man Bedauern haben, dass sie diese einfachen Glücksgefühle auf beiden Seiten nie hautnah erleben dürfen.