Roy hat viele Jahre im diplomatischen Dienst in den Emiraten gearbeitet und nach seiner Rückkehr nach Sri Lanka hat er sich in seiner Heimatstadt sozial engagiert und diese Bemühungen nach dem Tsunami verstärkt.
Für ihn ist die Vorgabe seiner Religion, 10 % seines Einkommens Armen zukommen zu lassen, keine Floskel und ich habe schon im ersten Bericht erzählt, dass seine Effizienz und Zuverlässigkeit sehr atypisch für Sri Lanka sind.
Mit Hilfe von Freunden und Verwandten organisiert er auch Schulungen für Jugendliche und Frauen. Diese ein- bis dreitägigen Schulungen sind für die Teilnehmer kostenlos, sie bekommen ein einfaches Mittagessen und vor allem ein tolles Zertifikat.
Wir konnten uns am Samstag, den 27. Okt 07 selber davon überzeugen. Ein Onkel von Roy, ein pensionierter Marketing Spezialist, hatte sich auf den weiten Weg nach Hambantota gemacht, um 23 jungen Menschen sein Wissen näher zu bringen. Seine Ausbildung hätte sein Unternehmen über die Jahre Unsummen gekostet und nachdem er jetzt pensioniert sei, wäre es eine Schande, dieses Wissen nicht für wohltätige Zwecke zu nutzen.
Er hat den Unterricht sehr interessant und lebhaft gestaltet und die Schüler hingen förmlich an seinen Lippen. Stellte er Fragen, kam die Antwort als 23-stimmiger Chor! Dieser Hunger nach Wissen ist uns schon vermehrt aufgefallen. Beim Mittagessen liessen wir Roy wissen, dass wir uns gegen halb drei davonschleichen würden, um den Ablauf nicht zu stören, und wir waren gegen sechs fürs Abendessen bei ihm verabredet.
Die Schulung fand gegenüber unserem Hotel statt und wir machten uns zu Fuss auf den Rückweg und wollten uns an den Pool legen.
Wie bereits erwähnt, herrschte in dem 200-Zimmer Hotel gähnende Leere. Wegen tödlicher Überfälle auf Armeeposten im nahe gelegenen Yala Nationalpark war dieser für Besucher geschlossen und Nachrichten über getötete Bauern in der Umgebung beunruhigten die Menschen – und die Unternehmen, die Touristen in diesen Teil des Landes bringen.
Bei unserer Ankunft war eine Gruppe Koreaner anwesend. Als diese am nächsten Tag abreisten, hatten wir das Hotel für mehrere Tage für uns alleine. Damit verbunden waren viele Unzulänglichkeiten, unter anderem ein völlig verschmutzter Pool. Anbetracht der Schwierigkeiten der Betreiber wäre es uns nicht in den Sinn gekommen zu reklamieren und wir wollten uns beim Pool einfach nur in den Schatten legen und ausruhen.
Mit der Ruhe war es augenblicklich vorbei, als eine einheimische Grossfamilie den Pool bevölkerte. Während Michel stoisch hinter seinem Buch verschwand, hatte ich Musse, das Treiben zu beobachten. Drei Paare zwischen 30 und 40 und ca. ein halbes Dutzend Kinder in verschiedenem Alter brachten das Wasser förmlich zum Kochen.
Einer der Männer konnte leidlich schwimmen und „unterrichtete“ den Rest.
Speziell die Badekleider der Damen waren eine Augenweide: Zwei von ihnen steckten in identischen Oberteilen, die in züchtigen Röckchen Mitte Oberschenkel endeten. Darunter wurde eine Art Radlerhosen in selben Türkis-Pink-Muster getragen. Die dritte steckte in einem Ganzkörper-Schwimmanzug, der nicht nur bei näherer Betrachtung mehr offenbarte als mein Bikini.
Die ganze Gruppe war zudem mit Badekappen in schreienden Farben und Schwimmbrillen ausgerüstet. Diese erwiesen sich als äusserst praktisch, da keiner in der Lage war, gleichzeitig mit den Bemühungen zu schwimmen auch noch den Kopf aus dem Wasser zu halten.
Nach einer Weile begaben sich die Männer in den tiefen Teil des Pools und durchpflügten dort unter grössten Anstrengungen das Wasser so nahe an der Kante des Schwimmbeckens, dass ich ernstlich um ihre Hände fürchtete.
Als derjenige mit leidlichen Schwimmkenntnissen ansetzte, den Pool ca. vier Meter von der Breitseite entfernt zu durchqueren, war ich mehr als erstaunt.
Der will es jetzt aber wissen!?
Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass die Antwort so schnell kommen würde. Mit dem Vielfachen der benötigten Kraft hatte er sich in die Mitte des Pools gekämpft, stellte abrupt seine Bemühungen ein, starrte mich mit verzerrtem Gesicht an und bevor er einen Laut von sich geben konnte, ging er unter!
Die Frauen und Kinder waren am anderen Ende des Pools am Plantschen und die zwei anderen Männer unterhielten sich am Beckenrand mit dem Rücken zum Geschehen.
Ich rannte zum Pool und brüllte die Männer an, ihr Freund sei am Ertrinken. Im Schreck hatte ich völlig ausser Acht ge-lassen, dass sie ja nicht schwimmen konnten. Als sie die Situation erfassten, machte der eine ein paar Schwimmzüge in die Richtung des Mannes und kam augenblicklich selber in Schwierigkeiten. Mit knapper Not schaffte er es zurück an den Rand und ich suchte hektisch die Umgebung ab nach Gegenständen, die man dem Ertrinkenden hätte zuwerfen können.
Da war nichts: kein Rettungsring, keine Stange – einfach nichts, das nicht sofort untergegangen wäre. Vom Pool Boy war auch keine Spur zu sehen und Michel las sein Buch.
Der Mann war mittlerweile schon etliche Male unter-gegangen und ich sprang kurzer Hand Kopf voran in den Pool und schwamm auf den Mann zu.
Was folgte, war eine brutale Lektion über den Unterschied zwischen Mut und hirnloser Selbstüberschätzung. Kaum war ich in Reichweite des Mannes, musste ich um mein eigenes Leben fürchten.
Kein neuer Tsunami, keine kriegerische Handlung und kein Selbstmordanschlag der Tamil Tigers: Ich würde in einem dreckigen Pool ertrinken!?
Nicht nur, dass der Mann ein gutes Stück grösser und schwerer war als ich, in seiner Panik drückte er mich dermassen unter Wasser, dass ich von Glück reden konnte, zwei-, dreimal kurz Luft holen zu können – an Schreien war nicht zu denken.
Als ich Michel später ziemlich entnervt fragte, was er sich um Himmels Willen dabei gedacht hätte, als ich ins Wasser gesprungen sei, war er immer noch völlig ratlos. Er hätte mich nicht mehr gesehen, ich sei ja hinter dem Mann gewesen.
Im Gegensatz zu mir beobachtet er nicht stundenlang andere Menschen und hatte keine Ahnung, dass keiner im Pool schwimmen konnte und was da vor sich ging.
Nun, ich war nicht hinter, sondern UNTER dem Mann und das Ganze war keine Rettungsaktion, sondern ein Ringkampf, bei dem ich schlechte Karten hatte. Als ich keine Kraft und keine Luft mehr hatte, erlahmte der Mann von einer Sekunde zu der anderen und ich kam an die Oberfläche und fing an, nach Leibeskräften Michels Namen zu brüllen. Der setzte sich dann blitzartig in Trab, hatte aber seine liebe Mühe, den leblosen Mann an den Rand zu bringen. Ich hatte Mühe, mich selber über Wasser zu halten, und brauchte eine ganze Weile bis ans rettende Ufer. Nebst allen anderen fehlenden Sicherheitsmassnahmen war auch kein Rand für die Füsse in dem Pool angebracht und ich hing mit einer Hand an der Kante des Pools und versuchte, mit der anderen meinen Bikini wieder einigermassen an den dafür vorgesehenen Stellen anzubringen, bevor ich den Frauen erlaubte, mich aus dem Wasser zu ziehen.
Es herrschte eine riesige Aufregung und ich registrierte erleichtert, dass der Mann anfing zu husten. Gleich darauf jaulte er vor Schmerzen wegen eines Oberschenkelkrampfes – bei dem Schwimmstil eine nicht weiter verwunderliche Erscheinung!
Sie bedankten sich überschwänglich und der Gerettete stammelte: „ I will never forget – I will never, ever forget“ und ich wusste, dass es mir nicht anders ergehen würde!
Da er umsorgt wurde und es Zeit war, uns fürs Abendessen zurecht zu machen, verabschiedeten wir uns. Ich war noch völlig unter Schock, und in jener Nacht fingen die Träume an: von riesigen Männern, die mich ersäufen wollten, von Männern, die dabei ungerührt zusahen, und von Wasser – viel Wasser...............
In der Nacht konnte ich kaum schlafen und am Morgen wachte ich mit Schmerzen und veritablen blauen Flecken auf.
Die Familie wohnte nicht im Hotel und wir dachten, dass wir sie nie mehr sehen würden. Umso mehr freuten wir uns, als der Mann an der Rezeption auf uns wartete. Er war noch sichtlich mitgenommen und er stellte sich als Sam, Major bei der Sri Lanka Armee, vor. Dies rief bei Michel ein Brummeln hervor: „ Na hoffentlich nicht bei der Marine!?“
In unsere lange Reihe von Freunden und Bekannten hat sich damit nun auch ein Major der SLAF eingereiht. Erst noch mit dem Versprechen, uns jeden denkbaren Wunsch zu erfüllen! Als wir uns bei unserer Abreise per SMS von ihm verabschiedet haben, kam als Antwort, dass er zurzeit nördlich von Jaffna (Zentrum der Kriegshandlungen) „arbeiten“ würde.
Damit wäre unser Wunsch an ihn schon aufgebraucht: Wir möchten ihn gesund wiedersehen!