Reiseberichte

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Phillips Hospital, Kalutara

Nach 19 Jahren Kind und Kegelferien beschlossen wir im Januar 2000 Haus und Kinder in Obhut einer Patin zu lassen und alleine in den Urlaub zu fahren.

Kurz zuvor in den Genuss einer Ayurveda Massage gekommen, fiel nicht zuletzt deshalb die Wahl auf Sri Lanka.

Ich habe stapelweise Reiseführer gelesen, mich im Internet schlau gemacht, teilte meine Erkenntnisse getreulich mit meinem Mann und wir brachen bestens vorbereitet auf. Als Erstlinge ging es pauschal mit Kuoni ins Ceysands in Bentota.

Schon die Überfahrt mit dem Boot über die Lagune an die Rezeption war ein Erlebnis und offen dem Land und den Leuten gegenüber hatten wir nach der ersten Woche ca. 80% der Tricks der Beachboys durch – und auf alle waren wir reingefallen. Kein Kräutergarten war sicher vor uns, später waren wir einem einheimischen „Freund“ dankbar, dass er uns authentische Gewürze besorgte, dort wo seine Grossmutter auch einkauft, für nur $ 20. Wir haben bereitwillig unsere Schweizer Münzen an Sammler verteilt, haben dem Koch vom Hotel ausgeholfen, Milchpulver gekauft und Zigaretten natürlich zum Vorzugspreis erhalten.

Der Mann im hoteleigenen Juwelierladen wollte mir gar nichts verkaufen, er wollte unbedingt meine goldene Spange, die ich um den Hals trug. So eine hätte er noch nicht gesehen und er wollte sie unbedingt für die Hochzeit seiner Tochter. Da es sich nicht um ein Erbstück handelte, willigte ich schliesslich ein und nannte ihm den Preis, den ich dafür bezahlt hatte. Da er nicht der Inhaber des Geschäftes sei, könne er mir leider kein Geld, dafür aber Edelsteine geben.

Ok, wie blöd muss man sein, aber seine Tochter wollte doch heiraten und ein Geschäft innerhalb eines Hotels kann sich doch keine krummen Touren leisten! Ich bekam einen grösseren blauen und vier kleinere weisse Saphire dafür.2 Jahre später hat der Mann meiner einheimischen Freundin die Steine fassen lassen mit dem zwinkernden Hinweis, dass sie üblicherweise Steine dieser Qualität nicht verarbeiten würden.

Der Höhepunkt war eindeutig nach einem ewiglangen Fussmarsch zum Markt in Bentota, den es gar nicht gibt, das Angebot zu erhalten, per Boot über den Fluss zum Hotel zurück zu fahren. Tolle Idee, man solle einfach den Ruderern eine Kleinigkeit geben. Das Boot bestand im Wesentlichen aus zwei Plastikkanus, die mit Brettern verbunden waren. Darauf sassen wir, während die Ruderer an jeder Ecke der Schwimmer platz nahmen. Nach einer ca. 20 minütigen Fahrt durch die Mangroven ging es unter der Eisenbahnbrücke durch und ich freute mich schon auf die Gesichter an der Rezeption, angesichts unseres Höllengefährt an der Hotel Anlegestelle. Daraus wurde nichts: die Bootsmannschaft fuhr ungefähr 50 Meter vorher in die Büsche und kaum ausgestiegen, konnte keiner mehr englisch. Einer schrieb mit der Kreide den Betrag Rs.4500 auf ein Stück Holz, fast 80 CHF, und hielt es meinem Mann unter die Nase. Nach etlichen unfruchtbaren Diskussionen gab er ihnen schliesslich das Geld. Sie hatten eine Art an sich, uns klar zu machen was für ein Krampf das Rudern für sie gewesen sei und sie schliesslich auch wieder zurück den Fluss hoch müssten, dass wir fast noch ein schlechtes Gewissen bekamen, so knickerig zu sein.

Man kann also nicht sagen, dass wir bereits beim ersten Besuch vom Sri Lanka Virus befallen wurden und doch zog es uns im Februar 2001 wieder hin.

Es sollten die letzten Familienferien mit unseren Kindern Agnes, Alain und Annina werden, die Vielfalt Sri Lankas und der Umstand, dass wir ja bestens Bescheid wussten, schien uns für unser Vorhaben ideal.

Die ganze Familie liess sich für und gegen alles Mögliche impfen und mit einer umfangreichen Medikamenten Tasche machten wir uns auf den Weg.

Ich hatte die Reise individuell geplant und ein Gästehaus in Negombo angemailt und dort Zimmer für eine Nacht und einen Fahrer gebucht. Dieser holte uns um 4 Uhr früh auf dem Flughafen ab und nachdem wir nicht gerade begeistert von dem Gästehaus und ziemlich aufgekratzt von der Reise waren, beschlossen wir nach dem Frühstück loszufahren.

Chris, unsere Fahrer, war ca. Mitte 50, ein sehr guter Fahrer mit exzellenten Ortskenntnissen, der auch jede Frage nach Fauna und Flora beantworten konnte. Dass wir mit ihm die restlichen 20% der Tricks kennengelernt hatten, ging uns erst sehr viel später auf.

Wir fuhren nach Dambulla ins Gimanhala Transit Hotel und sprangen dort als erstes in den Pool. Dieses: eben noch im Schnee, jetzt im 28 grad warmen Pool war toll und kaum auf den Liegen, schlief die ganze Familie ein.

Wir haben uns die Felsentempel angesehen, sind auf den Sigiriya Felsen geklettert, haben in Habarana eine 2stündige Elefantensafari in den Dschungel unternommen und uns die Ruinen von Pollonaruwa angeschaut. Weiter ging es nach Kandy (nein, Chris, wir möchten keinen Kräutergarten besichtigen) wir waren im Elefantenwaisenhaus, besuchten eine Teefabrik und kauften im Cargill in Nuwara Eliya Toblerone zu einem niedrigeren Preis als zuhause!? Auf dem Weg hinunter nach Ella waren besonders viele Affen an der Strasse und wir hielten immer wieder an, um diese zu füttern. Als uns die Nüsse ausgingen, warfen wir ihnen Toblerone Dreiecke zu, dabei konnte ich ein hochschwangeres Weibchen beobachten, die immer einen Tick zu langsam war. Mit teamwork gelang es uns, sie von der Gruppe zu isolieren und endlich hatte sie Erfolg. Sie steckte sich das Dreieck in die Backe, lutschte kurz daran und streckte dann die Hand aus für mehr. Zu schade, dass uns kein gutes Foto von der Äffin gelang, sonst hätten wir den Werbeleuten von Toblerone beweisen können, dass schon jemand vor ihnen die Idee hatte.

Wir sahen uns den Hakgala botanical garden an und assen Mittag im Ambiente in Ella, mit einer gewaltigen Aussicht auf das Ella Gap und fuhren dann weiter nach Tissamaharana. Von dort besuchten wir den Yala park (eine gewaltige Enttäuschung – ebenfalls ein späterer Besuch zu einer anderen Jahreszeit) wurden dafür vom Bundula Bird Sanctuary mehr als entschädigt. Wir schauten Mann und Sohn zu, wie sie mit ihren Fotoapparaten die Wasserbüffel einkreisten und zückten unsere Fotoapparate als die Wasserbüffel den Spiess umdrehten und hatten sehr viel Spass, aber auch langsam genug von der Fahrerei.

Nach einem Essen im Resthouse in Hambantota wollten wir direkt weiter nach Bentota. Obwohl es uns im Vorjahr im Ceysands gut gefallen hatte, wollte ich dem Anlass entsprechend nicht knauserig sein und uns alle im deutlich luxuriöseren Bentota beach verwöhnen lassen.

Das Essen im Resthouse in Hambantota war unter aller Kanone (wir waren März 2005 einige Tage dort und haben exzellent gegessen) meine Shrimps wurden nicht einmal von der Katze gefressen und der Rest der Familie war von ihrer Wahl auch nicht besonders angetan. Da wir schon auf der Rundreise oft und gut in einheimischen Restaurants und auch an Strassenküchen ohne Komplikationen gegessen hatten, liessen wir das Meiste stehen und machten uns auf den Weg. Beim nächsten Halt wollte Alain nichts essen und wurde zusehends bleicher. Er weigerte sich standhaft aus dem reichen Fundus der Medikamententasche behandelt zu werden und da er viel trank liess ich ihn in Ruhe. Als überzeugter Vegetarier von Kindesbeinen an, der sogar aus Prinzip keine Gummibärchen ass, waren ihm Medikamente ein Greuel.

Abends im Bentota Beach Hotel war seine Gesichtsfarbe schon leicht grünlich und er ging früh ins Bett.

Am morgen war klar, dass Alain ernsthaft krank war und seine Einsicht nun doch Antibrechmittel und Breitbandantibiotika zu schlucken, kam zu spät: er konnte nichts mehr bei sich behalten.

Der herbeigerufene Arzt war nicht gerade üppig ausgestattet, ausser einem Blutdruckmesser und einem Stethoskop konnte ich in seiner Tasche nur ein paar Medikamentenschachteln ausmachen, die wie Musterpackungen aussahen. Seine Diagnose lautete nicht ganz unerwartet auf bakterielle Vergiftung durch Lebensmittel und Dehydrierung infolge anhaltenden Brechens. Er öffnete eine seiner Musterpackungen und verabreichte Antibrechmittel, falls Alain es nicht bei sich behalten könne, müsse man ihn hospitalisieren um die Mittel intravenös verabreichen zu können. Er hatte den Satz noch nicht beendet, als bei Alain alles wieder hochkam.

Der Arzt beruhigte uns, dass sei „no problem“ und ca. 20 Kilometer nördlich befände sich ein gutes Privatspital in Kalutara.

Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass man in Sri Lanka „no problem“ nicht mit „kein Problem“ sondern mit „nicht ein Problem“ übersetzt. Ein nicht unwesentlicher Unterschied: es ist also nicht ein Problem, sondern womöglich gleich mehrere oder schlicht eine Katastrophe.

Auch das Wort Privatspital hatte einen beruhigenden Klang, zumal ich mir keine ernsthaften Sorgen um meinen Sohn machte. Er war mit 18 Jahren in bestem Saft und Kraft, seit 10 Jahren aktiver Judoka und hatte erst einmal in seinem Leben schwache Antibiotika wegen einer Mittelohrentzündung erhalten.

Wir bestellten einen Wagen und mit einem grossen Badetuch und Alains Kopf auf dem Schoss fuhr ich Richtung Colombo zum Phillips Hospital in Kalutara.

Dort angekommen, traf mich fast der Schlag und ich mag mir bis heute nicht vorstellen, wie die öffentlichen Spitäler in Sri Lanka aussehen.

Nachdem sich Alain an den Empfang geschleppt hatte, wurden wir angewiesen im Flur platz zu nehmen. Dort sassen bereits ein gutes Dutzend Einheimische auf wackeligen Plastikstühlen und musterten uns aufmerksam. Es war unerträglich stickig und heiss, sehr schmutzig und die Aussicht, womöglich Stunden auf eine Behandlung warten zu müssen, mehr als entmutigend. Auf bevorzugte Behandlung zu pochen ging mir nur kurzfristig durch den Kopf, zumal einige der Anwesenden ebenfalls einen bemitleidenswerten Eindruck machten.

Alain verkürzte die Wartezeit, indem er sich in kurzen Abständen quer über den Flur erbrach und wir wurden an den Einheimischen vorbei in ein ca. 6 qm grosses Behandlungszimmer geführt, wo nichts ausser einer sehr jungen Ärztin, einer Liege mit einem ehemals weissen Tuch und einem wackligen Tisch stand. Als sich mein Sohn hinlegte, teilten sich die dunklen Tupfen auf dem Tuch in zwei Kategorien, die eine Hälfte machte sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus dem Staub, beim verbleibenden Rest handelte es sich um Flecken und ich legte vorsorglich das Badetuch unter seinen Kopf.

Die Diagnose war dieselbe und Alain müsse auf die Intensivstation verlegt werden. Es fanden weder Blut noch Urinuntersuchungen statt, die Diagnose erfolgte mittels Augenmass und in der Umgebung das Wort Intensivstation zu hören, verhiess nichts Gutes.

Alain musste sich auch dort, immerhin gestützt von 2 Krankenschwestern, auf eigenen Füssen hinbewegen und meine schlimmsten Befürchtungen wurden weit übertroffen.

Zwei rostige Betten, zwei rostige Sauerstoffflaschen und eine rostige, tropfende Klimaanlage, welche die Raumtemperatur auf ca. 3o grad zu drücken vermochte, eigentlich erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die Türe unten eine Lücke aufwies, die es einer kleinen Katze erlaubt hätte, den Raum erhobenen Hauptes zu betreten.

Auf einem Regal waren diverse Verbandstoffe fein säuberlich in Konservengläsern aufgereiht und die Höchst schwangere Intensivschwester trank ihr Wasser aus einer Glasflasche mit gut sichtbarem Etikett: Jonny Walker black label – ein grotesker Anblick.

Mit Argusaugen überwachte ich, dass beide Infusionsnadeln frisch aus sterilen Verpackungen kamen und Alain wurde mit Kochsalzlösung und Antibiotika versorgt - und erbrach sich in regelmässigen Abständen weiter. Dem Himmel sei Dank hatte er keinen Durchfall, ich kann mir nicht vorstellen, wie unter den Umständen damit umgegangen worden wäre und nachdem die Infusionen nach anderthalb Stunden immer noch keine Wirkung zeigten, entschied man sich, ihm ein Zäpfchen zu verabreichen.

Es gehört vielleicht nicht hierhin, aber meine Kinder erfreuten sich, sagen wir bis zu ihrer Pubertät, immer besonders an „als ich noch ein Baby war“ Geschichten. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala war die ausgeschmückte Beschreibung über die schiere Unmöglichkeit, ihnen Zäpfchen zu verabreichen. Es war bei allen Dreien ein höchst schwieriges Unterfangen und als einzige Möglichkeit erwies sich Ablenkung bei gleichzeitigem Draufhalten des Daumens.

Als sich der eigens hinzugerufenen Pfleger umständlich Handschuhe anzog und Alain bat, sich zur Seite zu legen, fragte ich ihn beiläufig, ob ich wohl dem Pfleger sagen solle, dass er für mindestens drei Minuten den Daumen draufhalten müsse. Alain musste fürchterlich lachen, wegen seines jämmerlichen Zustandes kam jedoch nicht mehr als eine Grimasse und heftiges Schütteln der Schultern zustande. Eine Krankenschwester strich ihm beschwichtigend über den Kopf und versprach, dass es bestimmt nicht weh machen würde, worauf Alain noch mehr geschüttelt wurde und ich mich, beide Hände vors Gesicht haltend, abdrehten musste.

Die Schweizer Frau mit dem 18jährigen Sohn, die wegen eines Zäpfchens bitterlich weinen mussten, sind bestimmt heute noch Gesprächstoff in dem Spital.

Alains Zustand besserte sich für die nächsten zwei Stunden und die schwangere Schwester verliess ab und zu den Raum, jedesmal die Türe weit offen lassend. Während einer dieser Gelegenheiten konnten wir beobachten, wie auf der gegenüberliegenden Seite des Flures der Operationssaal grosszügig desinfiziert und anschliessend ein Schild an der Türe angebracht wurde, dass der Raum für 12 Stunden nicht betreten werden sollte. Eine knappe Stunde später, konnten wir wiederum eine junge Schwester beobachten, die genau ebendieses tat, vermutlich aus hygienischen Gründen zog sie sich vorher die Schuhe aus und man konnte sehen, dass sie ihre viel zu grossen Socken unter der Sohle zusammengefaltet hatte.

Mir war schon aufgefallen, dass bei den Schwestern die Uniformen ausnahmslos zu eng oder zu weit waren und mit Hilfe von Sicherheitsnadeln der Figur angepasst wurden. Da sie aber auch sehr unterschiedliche Figuren hatten, hätte sich das Problem wohl auch lösen lassen, wenn sie untereinander getauscht hätten. Bei den Socken war nicht viel zu machen, nicht eine trug ein vernünftiges Paar, einige sogar zwei verschiedene.

Gegen 19 Uhr, wir waren schon seit fünf Stunden im Spital, wurde darüber diskutiert ob Alain die Nacht im Spital verbringen müsste und als ob nicht schon der Gedanke daran schlimm genug gewesen wäre, erbrach sich dieser just in dem Moment erneut.

Das folgende „no problem“, sie hätten ein Privatzimmer, war kein wirklicher Trost und ich trat erst mal auf den Flur und fing tatsächlich an zu weinen. Die volle Aufmerksamkeit der Einheimischen war mir gewiss und eilig wurde ein Arzt gerufen, der mir tröstend versicherte, dass mein Sohn spätestens am nächsten Morgen wieder fit sei und ich auch unbesorgt ins Hotel zurückkehren und ihn allein in ihrer Obhut lassen könnte.

Ich konnte ihm schlecht erklären, dass ich nicht um Sorge um meinen Sohn, sondern wegen der blossen Vorstellung, die Nacht unter solchen Umständen verbringen zu müssen, weinte. Den Gedanken, ins Hotel zu gehen wies ich weit von mir, zumal das Gesicht der Schwester Bände sprach: sie wollte nicht mit einem jungen Mann alleine gelassen werden, der wegen einem Zäpfchen heulte....

Der Blick in den Krankensaal liess uns das Privatzimmer schätzen, es ist alles eine Frage der Relation.

Über eine Arkade, links Krankensaal, rechts Garten, kamen wir zu besagtem Privatzimmer, Alain flankiert von zwei Krankenschwestern und gefolgt vom Pfleger, der mit erhobenen Armen die Infusionsbeutel trug.

Der Raum war ca. 15qm gross, hatte eine Öffnung „hier sollte ein Fenster sein“ zum Garten und war ausgestattet mit einem – wie konnte es anders sein – sehr rostigen Bett, einer grob gezimmerten Pritsche mit einer 1cm hohen Kokosauflage – das war für mich – und einem Nachschränkchen, dessen Tür an einer Angel hing. Die Infusionsbeutel wurden an einen gusseisernen Ständer gehängt und man liess uns allein.

Vorsichtig stiess ich die Brettertüre zum angrenzenden Badezimmer auf und sah ein Waschbecken, ein Luxus der nicht einmal auf der Intensivstation vorhanden gewesen war.

Hände waschen! Ich öffnete den Wasserhahn und hatte im selben Augenblick nasse Füsse. Das Becken war an die Wand geschraubt, hatte aber keinen Abfluss und das Wasser plätscherte auf den Boden und lief nach rechts, dem leicht schräg gehaltenen Boden entlang zu einem Loch, bei dem es sich offensichtlich um die Toilette handelte.

Kurze Zeit später betrat eine alte Frau das Zimmer mit einem Tablett. Sie verstand kein englisch, aber machte mir nicht ohne Stolz verständlich, dass es sich um mein Abendessen handeln würde. Mir war klar, dass mir dabei eine Vorzugsbehandlung zukam und es ist generell unhöflich in Sri Lanka Essen zurückzuweisen. Ein Blick auf das Tablett sagte mir jedoch, dass Höflichkeit völlig fehl am Platz war. Ich liebe Reis und Curry, aber die verschiedenfarbigen Breikleckse in den Dellen des Tabletts waren nicht sehr appetitlich, zumal ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie über eine Spitalküche oder gar einen Mixer verfügten. Das grobe Plastik, mit dem das Tablett abgedeckt war und in erster Linie die Ameisen an der Flucht hinderte, tat sein übriges und ich machte ihr gestenreich und um Verzeihung bittend klar, dass ich unmöglich essen könnte. Ich hätte ebenfalls Magenprobleme, -als ob er meinen Worten mehr Glaubwürdigkeit verleihen wollte, erbrach sich mein Sohn im selben Moment – und ob vielleicht jemand so liebenswürdig sein könnte und mir Bananen und eine Flasche Cola besorgen würde.

Man kann den Konzern mögen oder nicht, aber das Wort Coca Cola wird auf der ganzen Welt verstanden und nach kurzer Zeit kam sie mit dem gewünschten zurück. Hungrig machte ich mich über die Bananen her und kaum hatte ich die leeren Schalen auf den Nachttisch gelegt, machten sich Heerscharen von Insekten darüber her. Ich habe sie dann kurzerhand und zur Belustigung meines Sohnes aus dem Fenster geschmissen.

Das gleiche Schicksal ereilte später den Tee. Als die alte Frau wiederum freudestrahlend mit einer Kanne und einer Zuckerdose auf dem Tablett auftauchte, hatte ich keine Bedenken, diesen dankend anzunehmen. Auf meinen suchenden Blick nach einer Tasse deutete sie mit dem Kopf auf das Türchen, dass an einer Angel hing und tatsächlich: dahinter versteckte sich Geschirr. Auch das hätte ich noch hingenommen, Tee ist ja im wesentlichen abgekochtes Wasser, aber als sie mir beflissen Zucker einrührte und sich der Inhalt der Dose eindeutig bewegte, verwarf ich meine guten Vorsätze.

Von Zeit zu Zeit ging ich eine Zigarette rauchen, wegen des fehlenden Fensters hätte ich auch im Zimmer rauchen können oder auf dem Flur, der keiner war. Zudem wurde ich bei jedem Gang zwei weitere Zigaretten los, da der Wachmann vom Spital und sein Kollege von der Bank nebenan ebenfalls Raucher waren. Radebrechend hatte ich ihre Fragen nach dem Grund meines Aufenthaltes beantwortet und ihr Wortschatz war nach „dont worry, very good hospital“ erschöpft, ich wäre auch auf singhalesisch um eine Antwort verlegen gewesen.

Während sie mit meinen Zigaretten wieder Posten bezogen, setzte ich mich jeweils auf einen kleinen Mauervorsprung und studierte die kleinen Härchen, die paarweise aus allen Ritzen lugten. Verhielt ich mich ganz ruhig, kamen die dazugehörigen Kakerlaken zum Vorschein, unglaublich viele und von erstaunlicher Grösse.

Ein kurzes Tippen mit dem Fuss und sie waren weg, ruhig verhalten und sie kamen wieder zum Vorschein, das Spiel liess sich pro Zigarette etwa ein Dutzend mal wiederholen.

Im Zimmer vertrieben wir uns die Zeit mit: ich sehe was, was du nicht siehst und dachten uns zu den verschiedenen Flecken an den Wänden Geschichten aus. Ein grosser Fleck mit Spritzern nach allen Seiten hat es uns besonders angetan. Anbetracht der Tatsache, dass sich der Fleck auf fast 2 Meter Höhe befand, überbordete unsere Fantasie.

Alain döste ein paar Mal ein, auf meiner Pritsche war an Schlaf nicht zu denken. Obwohl Alains Kopfkissen nicht besser aussah als alles Vorhergegangene hatte ich beim Zimmerbezug spontan beschlossen, dass das Badetuch aus dem Hotel fortan meines war, ich hätte es nicht über mich gebracht meinen Kopf auf die bare Kokosmatte zu legen. Ich war todmüde, verschwitzt und von oben bis unten verstochen. Während die klugen Tierchen Alain in Ruhe liessen, wagte ich nicht daran zu denken was alles an mir labte, es waren mit Sicherheit nicht nur Moskitos.

Um 4 Uhr früh kam das erlösende: „Mama, ich muss mal“

Im Badezimmer befand sich auf einem Regal ein Nachttopf und eine Bettflasche aus Email, die vermutlich noch von den Portugiesen stammten und als ich mit spitzen Fingern Alain die Bettflasche vorführte, kletterte er augenblicklich aus dem Bett. Mein Versuch den Ständer mit den Infusionen zu bewegen endete damit, dass ich die Hände voll mit abgeplatzter Farbe hatte und ich trug dann die Flaschen hinter Alain her. Weit musste ich nicht laufen, er traute sich nicht allzu nahe an die Toilette.

Alain erholte sich zusehends und ich hatte Visionen von Duschen und frischen Kleidern.

Um 7 Uhr wurde das Frühstück serviert, es unterschied sich nicht wesentlich vom Abendessen, ausser dass Alain auch ein Tablett bekam und auf jedem zu unserer Freude eine Packung Cracker lag. Zudem lag bei ihm noch ein Trinkhalm, der zur Hälfte (die unbenutzte?) fein säuberlich in Papier eingewickelt war. Beim Auswickeln stellten wir fest, dass es sich um eine halbe Seite aus dem Telefonbuch handelte. Vermutlich aus hygienischen Gründen handelte es sich um die obere Hälfte, man weiss ja, dass sich viele Leute die Finger ablecken, bevor sie unten umblättern.

Wir assen die Cracker und unsere restlichen Bananen, dazu gab es brühwarme Cola.

Um 8 Uhr war Arztvisite, d.h. ein Arzt und eine Schwester fragten nach dem Befinden und nach meinen Schilderungen des Verlaufs und angesichts Alains guter Verfassung wurden die Infusionsnadeln entfernt.

Ich hatte bereits meinen Mann per sms verständigt, er solle uns abholen und ja die Videokamera nicht vergessen und fragte den Arzt nach dem weiteren Verlauf, Rechnung begleichen etc.

Wieder ein „no problem“ nur müsse zuerst der Arzt, der Alain aufgenommen habe, ihn nochmals untersuchen bevor er entlassen werden könne.

Bereits leicht meiner Contenance beraubt entschlüpfte mir ein: haja, und wann kommt der, - am Mittag?

Ich kann auch nach 20 mal Sissi, die über den Markusplatz zu ihrem Kind rennt während die Menge „ eviva la Mama“ ruft, wie ein Schlosshund heulen, aber im täglichen Leben haut mich so schnell nichts um.

Als mir beflissen versichert wurde, dass der betreffende Arzt sicher bis spätestens 17 Uhr da sei, klappte mir der Kiefer runter und meine Augen füllten sich gegen meinen Willen mit Tränen.

Wir hätten dringend Hilfe benötigt, diese erhalten und seien dafür auch unendlich dankbar, ABER.............

Ich wählte meine Worte mit Bedacht, machte jedoch deutlich, dass 20 Stunden in dieser ungewohnten Umgebung das Äusserste seien, zumal Alain völlig wiederhergestellt sei. Vermutlich haben meine Ausdünstung und die Tatsache, dass ich mich dauernd kratzen musste dazu beigetragen ihn zu überzeugen und er versprach, dass er die Rechnung in Auftrag geben würde.

Mittlerweile war der frisch geduschte Rest der Familie eingetroffen, hielt schaudernd Abstand von uns und nach einem kurzen Rundgang beschlossen die Mädchen, vor dem Spital auf uns zu warten.

Mein Mann packte zögerlich die Videokamera aus – wo darf man schon die Intensivstation filmen? -  und fing nach einer Viertelstunde ungeduldig mit dem Fuss an zu wippen. Ich machte mich auf den Weg zur Rezeption, um nach dem Verbleib der Rechnung zu fragen und es war nicht ersichtlich, ob sie schon angefangen hatten diese aufzustellen oder ob sie gleich anfangen würden.

Um 10 Uhr stapfte mein Mann zur Rezeption und fragte den verdutzten Mann an der Rezeption höflich aber sehr bestimmt, ob er die Türe sehen könne. Dort würden wir genau in einer Viertelstunde durchlaufen, ob mit bezahlter Rechnung oder nicht würde von ihm abhängen.

Während der Nacht hatte ich des Öfteren an ihn gedacht, ihn bildhaft vor mir gesehen mit einem kühlen Bier aus der Minibar in der Hand, achtlos die tropischen Blüten vom Bett entfernend und sein frischer, ausgeruhter Anblick am Morgen hatte meinen Groll gegen ihn nicht gerade besänftigt. Dass er nach 2 Stunden bereits meinen Grad an Ungeduld übertraf machte die Sache nicht besser, aber ich war doch froh, dass sein Auftritt Wirkung zeigte und wir genau nach 14 Minuten die Rechnung über 120 CHF vorgelegt bekamen.

Mich überfiel wieder diese Demut, die ich des Öfteren in Sri Lanka verspüre. Dieser Betrag entsprach in etwa 2 Monatslöhnen und die Zahl der Einheimischen, die es sich hätten leisten können, sich in dem Spital behandeln zu lassen ist sehr gering.

Zurück im Bentota Beach Hotel duschte ich ausgiebig und bestellte beim Zimmerservice eine Meeresfrüchteplatte für 2 Personen. Mein Mann, der Mühe hat Meeresfrüchte nur schon zu sehen oder gar zu riechen, verzog sich während meines Gelages auf die Terrasse.

Die nächsten Tage unterhielten Alain und ich den Rest der Familie immer wieder mit Schauergeschichten, manches davon war nicht nett, aber wir hielten dies für ausgleichende Gerechtigkeit und konnten uns im Nachhinein köstlich amüsieren.

Ende der zweiten Woche holte Chris die Drei im Hotel ab und brachte sie zum Flughafen, während wir noch eine faule Woche anhängten.

Wir machten unter anderem einen Ausflug nach Kalutara und brachten der immer noch hochschwangeren Stationsschwester 30 Paar weisse Frauensocken, die von den Schwestern mit Begeisterung aufgenommen wurden.

Wir liessen uns ebenfalls von Chris zum Flughafen fahren und er erhielt für seine Dienste ein fürstliches Trinkgeld. Da er massgeblich daran beteiligt war, dass der Urlaub toll und unvergesslich blieb, sahen wir kein Problem darin, entgegen allen Ratschlägen beim Trinkgeld über die Stränge zu schlagen.

Kaum Zuhause erreichte uns ein Brief von ihm, indem er uns um 500$ bat. Er müsse sich dringend einer Nierenoperation unterziehen und die Summe würde ihm fehlen. Den Betrag und die Kontonummer hatte er säuberlich mit gelbem Marker übermalt.

Er hatte uns erzählt, dass seine Mutter nicht mehr lebte, also kam die Geschichte mit der Herzoperation nicht in Frage. Fast alle Mütter von Fremdenführern in Sri Lanka leiden an Herzkrankheiten, die hohe Behandlungskosten nach sich ziehen und falls die Mütter gestorben sind, geht es ihnen im wahrsten Sinne des Wortes fürchterlich auf die Nieren.

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