Letzten November schrieb Resla an ihre Patin, und wir wurden aus dem Schreiben nicht ganz schlau. Ihre Grossmutter sei wieder nach Abu Dhabi; sie würde nun bei der Schwester der Grossmutter wohnen. Die Grossmutter hätte sie ohne Geld zurückgelassen und mit der Schule gäbe es Schwierigkeiten.
Wir haben sofort die Zahlungen an die Grossmutter eingestellt und Roy informiert. Der gab kurz darauf Entwarnung, alles sei in Ordnung. Er hätte mit Resla telefoniert, es gehe ihr gut und sie würde in die Schule gehen.
Auf Wunsch der Patin haben wir die monatlichen Beiträge auf Umwegen direkt dem Mädchen zukommen lassen, und sie schrieb zurück, dass sie damit einen IT Kursus habe belegen könne.
Bei unserem Besuch kam dann die ganze Wahrheit ans Licht. Reslas Grossmutter war nach Abu Dhabi zurückgekehrt, weil ihr Ehemann erkrankt war und ihre Hilfe brauchte. Resla wurde ins Haus ihrer Schwester gebracht, und die Grossmutter verbot ihr einen weiteren Schulbesuch. Sie könne und wolle die Verantwortung für das fast 18 jährige Mädchen nicht mehr tragen und wollte sie verheiraten.
Entgeistert fragten wir nach, weshalb sie uns nicht die Wahrheit gesagt habe und sogar Roy am Telefon angelogen habe? Und ob sie denn heiraten möchte? Ihr „nein“ war ein einziger Aufschrei. Sie hätte sich fügen müssen und sich geschämt, die Wahrheit zu sagen.
Es folgte ein tagelanges hin und her. Bei einem Gespräch mit der Schwester der Grossmutter machte ich aus meinen Gefühlen keinen Hehl.
Wir würden es merkwürdig finden, über Jahre die Unterstützung einer Patin anzunehmen, die vor allem für den Schulbesuch gedacht gewesen sei, und dann das Mädchen einfach mir nichts, dir nichts kurz vor dem 18ten Geburtstag aus der Schule zu nehmen um es zu verheiraten! Nach telefonischer Rücksprache mit der Grossmutter hatten wir deren Einwilligung für die Rückkehr in die Schule.
Resla wieder bei der privaten Schule anzumelden, war ein Pappenstiel. Der Lehrer lobte sie in den höchsten Tönen, sie sei eine ausgezeichnete Schülerin und würde den Stoff der vergangenen Monate problemlos aufarbeiten können. Am 5ten Februar volljährig geworden, konnten wir ein Konto auf ihren Namen eröffnen, damit sie die Stunden bezahlen kann.
Die weitaus grössere Hürde war die staatliche Schule. Man könne da nicht einfach so rein trampeln, er müsse sich erst bei der Rektorin einen Termin erbitten, meinte Roy.
Wir fahren da jetzt einfach hin, meinte ich. Wenn wir wegen unserer Gesichtsfarbe in Sri Lanka in jedem Nationalpark oder Tempel das zig-fache des Preises für Einheimische bezahlen müssen, warum sollte unsere Gesichtsfarbe nicht ohne Voranmeldung die Türe zum Rektorat öffnen?
Die Tzu Chi Schule wurde von Taiwan errichtet. Es werden dort fast 1000 Schüler von insgesamt 45 Lehrern unterrichtet. Wir trabten mit Resla im Schlepptau mitten in der Unterrichtszeit dort an und wurden neugierig beäugt. Uns wurde der Weg zum Büro der Rektorin gezeigt, und dann standen wir vor einer konsternierten Dame, die uns ziemlich reserviert begrüsste.
Stühle wurden herbei geschafft, und innert kurzer Zeit kamen immer mehr Lehrer in den Raum und eine lebhafte Diskussion entspann sich. Resla sass wie ein begossener Pudel da und wir verstanden kein Wort. Abhilfe schaffte die Englisch-Lehrerin. Sie sei davon ausgegangen, dass Resla an eine andere Schule gewechselt sei. Sie sei eine ausgezeichnete Schülerin, aber man könne nicht nach Belieben von der staatlichen Schule fernbleiben und dann wieder eintreten.
Die Rektorin nickte und schüttelte abwechselnd den Kopf. Mefuza übersetzte Roys Rede, dass Resla als Tsunami-Waise bei der Grossmutter aufgewachsen sei und wir seit Jahren nach dem Mädchen sehen würden. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam dann ein schlichtes „ok“, und Resla fiel mir unvermittelt um den Hals. Zwei Tage später ging sie wieder zur Schule.
Trotz aller Freude haben wir mit Resla ein langes Gespräch geführt. Wir hätten für sie gekämpft, nun sei sie an der Reihe. Die angefangenen IT Klassen am Sonntag solle sie zu Ende besuchen (bis Ende Mai), um das Zeugnis zu erhalten. Sie sei nicht die Einzige, die an sieben Tagen in die Schule müsse. Und wir müssten ihr nicht erklären, unter welcher Beobachtung ein 18jähriges muslimisches Mädchen stehen würde. Jedes noch so kleine Fehlverhalten ihrerseits würde auf Roy und uns zurück fallen, und wir würden in Hambantota unser Gesicht verlieren. Da seien noch andere jüngere Patenkinder, für die wir unser Gesicht noch brauchen würden! Sie versprach, alles dafür zu tun, damit sie nächsten Sommer die Matur schafft, um dann studieren zu können.
Wir stehen seit unserem Besuch in regem e-mail Kontakt mit ihr und drücken ihr und uns die Daumen, dass sich alles zum Besten wendet.
Nach dem ok der Rektorin war die Stimmung im Raum plötzlich viel lockerer, und uns wurden der Reihe nach mehrere Lehrpersonen vorgestellt. Der Chemielehrer bat uns in den Unterrichtsraum und beklagte die Situation der Schule. Der Staat würde die Gehälter der Lehrer bezahlen, das Unterrichtsmaterial müssten sie sich zusammen betteln. Für den Chemie- und Physik-Unterricht sei kaum etwas vorhanden, und sie hätten keine Laborgeräte.
Wir haben ihn gebeten, uns eine Liste der benötigten Dinge zukommen zu lassen. Chemikalien können in Colombo für kleines Geld gekauft werden, und wir werden uns an die in Basel ansässigen Chemiefirmen wenden. Vielleicht stehen irgendwo aussortierte Geräte, die in Sri Lanka gute Dienste leisten würden? Falls ein Leser über Kontakte verfügt, die uns in der Sache weiterhelfen würden, wären wir sehr dankbar.