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Adams Peak die Zweite

Im Januar 04 war ich bereit für einen neuen Aufstieg zum Adams Peak, diesmal in Begleitung meines Mannes und sicherheitshalber mit Auf- sowie Abstieg auf der Dalhousie Seite.

Wir blieben drei Tage in Colombo, um uns anzuklimatisieren, einzukaufen und unsere Freunde zu treffen.

Wie immer war unser Domizil das Ottery Tourist Inn von Mrs. Fernando, ein sehr in die Jahre gekommenes Kolonialstilhaus, jedoch mit viel Charme und zentral gelegen in Colombo 4. Mrs. Fernando vermietet sechs Zimmer und die Gäste kommen aus aller Welt, zumeist mit ihren Rucksäcken, angereist.

Wir hatten auf Montagmorgen, 8 Uhr, einen Fahrer mit Van bestellt und als ich um 7.45 Uhr unsere Rechnung beglich, erstaunte mich Mrs. Fernando mit der Aussage, der Fahrer würde uns erwarten.

Normalerweise ist es in Sri Lanka besser, falls man wirklich um 8Uhr losfahren möchte, den Wagen für 6 Uhr zu bestellen.

Neugierig ging ich auf die Strasse, um den ungewöhnlich pünktlichen Fahrer in Augenschein zu nehmen, es stand aber nur ein verlassener Van vor der Türe. Ein „Good morning, Madam“ liess mich herumfahren und für einen kurzen Augenblick entglitten mir meine Gesichtszüge.

Um es vorweg zu nehmen: Mein Mann überlässt mir alle Entscheidungen, jedenfalls alle unangenehmen. ICH hätte also diesem unglaublich kleinen, sehr altem Mann mit Sarong und frisch gebügeltem Hemd, das ihm fast bis an die Kniekehlen reichte, ins Gesicht sagen müssen, dass wir auf keinen Fall mit einem so – siehe oben - auf eine Tour von zehn Tagen gehen würden. Er solle bitte zur Agentur zurück und uns einen anderen schicken.

Stattdessen erwiderte ich freundlich seinen Gruss und ging Mann und Koffer holen.

Für Michel schien es eh kein Thema zu sein; er willigte auch bereitwillig ein, unser Programm etwas abzuändern, um den alten Mann möglichst zu schonen, und wir fuhren auf der Hauptstrasse Richtung Süden.

Das Alter eines Fahrers ist nicht unwichtig in Sri Lanka. Wer bei dem mörderischen Verkehr 60 wird, muss ein exzellenter Fahrer sein, unserer war jenseits der 70 (ich habe nie gewagt zu fragen), was ausserdem den Vorteil hatte, dass er perfekt englisch sprach. Als die Engländer 1948 das Land verliessen, hatte er seine Schulzeit längst hinter sich.

Wir bummelten die Küste entlang, waren jeweils spätestens um 18 Uhr in einem Gästehaus und hielten uns gar nicht mit Fragen nach einer Fahrerunterkunft auf, sondern verlangten neben einem Doppel- jeweils noch ein Einzelzimmer.

Von Hambantota ging es ins Landesinnere zu dem Wilpattu National Park, wo wir uns einen Jeep mieteten, und der alte Mann genoss den Ausflug sichtlich. Weiter ins Hochland nach Nuwara Eliya, wo wir uns von einem Wagen des Hotels zu nachtschlafender Zeit zu den Horton Plains fahren liessen, über Hatton und von dort aus nach Dalhousie, um den Adams Peak zum zweiten Mal zu bezwingen.

Wegen unserer veränderten Tagesplanung kamen wir gegen 17Uhr dort an, ich sass auf derselben Terrasse wie zwei Jahre zuvor mit den drei Frauen und konnte meinen Augen kaum trauen.

Was damals in der Dunkelheit ein kleines unscheinbares Dreieck mit einer Lichterkette gewesen war, sah bei Tageslicht völlig anders aus. In der Ferne erhob sich eine Hügelkette, dahinter eine höhere und hinter der dritten noch höheren ragte ein riesiger Peak in den Himmel. Ich konnte es gar nicht fassen, schon dort oben gewesen zu sein, geschweige denn,  je wieder dort hinaufzukommen!?

Da er ja wieder den ganzen Morgen schlafen könne, liess es sich unser Fahrer nicht nehmen,  uns um 1 Uhr morgens an den Ausgangspunkt des Fussweges zu fahren, und ich war dankbar, damit bereits die erste der „Siddhalepa“ Tafeln hinter mich gebracht zu haben.

Es ist völlig verpönt, sich bei anderen Pilgern nach der Länge des verbleibenden Weges zu erkundigen, und beim ersten Aufstieg waren mir die Tafeln mit singhalesischer Schrift aufgefallen. Laut meiner einheimischen Freundin waren es nur Reklameschilder besagter Firma, die für Ayurvedische Arzneimittel warb, aber sie waren durchnumeriert bis auf 132.

Als ich keuchend und schnaufend dachte, dass ich bestimmt keine zehn Stufen weiter hoch käme, waren wir bei Tafel 58!?

Ich kann nur jedem raten, der den Adams Peak besteigen will, erst nach Anbruch der Dunkelheit in Dalhousie einzutreffen. Der Gedanke  „Da komm ich nicht hoch“  hatte sich in meinem Kopf festgesetzt und sich auf meine Beine übertragen.

Noch rechtzeitig zum Sonnenaufgang schaffte ich es doch noch, ich wollte einfach unbedingt  diese Glocke läuten.

Der Sonnenaufgang vollzieht sich in wenigen Minuten und es ist ein erhabener Anblick, man hat das Gefühl, ganz Sri Lanka zu überblicken, und kaum aufgetaucht, wärmen die ersten Strahlen die halberfrorene Nasenspitze.

Für jede vollendete Pilgerreise darf man einmal läuten und Gott, Buddha oder Allah wird dann aufmerksam, schaut auf den Lärmverursacher auf dem Adams Peak und vermerkt dies im Guthaben-Buch.

Die Pilgerreise gilt erst beim Ausgangspunkt als abgeschlossen; man ist also nach der ersten Vollendung weit, weit weg von der Glocke und darf diese erst beim zweiten Aufstieg läuten.

Glückselig stellte ich mich hinter eine kleine, alte Frau in die Reihe der Wartenden, Michel als Erstbesteiger durfte ja nicht ziehen. Diese hing sich halb in das Seil und hörte nicht mehr auf – sie muss mindestens 20 Mal geläutet haben. Jedenfalls hatte ich lange genug Zeit, die Handhabung des Seiles zu studieren, und hing mich mit gleicher Inbrunst hinein, völlig ausser Acht lassend, dass ich halb so alt, dafür doppelt so schwer war wie meine Vorgängerin. Der Klang der Glocke war markerschütternd und falls Gott mich nicht gehört hat, jeder im Umkreis von 500 Metern hat es bestimmt.

Nachträglich kann ich sagen, dass der Abstieg nach Dalhousie zwar viel gefahrloser und kürzer, aber fast noch mühsamer ist. 5000 ungleich hohe Treppenstufen Schritt für Schritt hinunter zu schreiten, grenzt an Folter und wir haben verschiedene Varianten ausprobiert. Zehn Stufen mit dem rechten Fuss voran, zehn Stufen mit dem linken Fuss voran, seitwärts traversieren und kamen dann zum Schluss, dass es am besten war, schlicht zu rennen, bis die Knie schlotterten. Pause machen, bis die Knie wieder gehorchten, und dann weiter rennen.

Das Frühstück im Kalwattie Inn schmeckte hervorragend und am liebsten wären wir den ganzen Tag auf der Terrasse sitzen geblieben; dies hätte uns auch davor bewahrt, buchstäblich auf allen Vieren durchs Restaurant gehen zu müssen.

Nachdem wir zusammengepackt hatten, fragten wir nach unserem Fahrer und die Antwort war wie immer: Meint ihr den alten Mann? Wir können uns zu unserer Schande nicht mehr an seinen Namen erinnern - er war für alle einfach nur „der alte Mann“.

Zurück über Hatton wollten wir das Hochland verlassen und hinunter nach Kitulgala fahren. Der Ort zehrt noch immer von dem Ruhm, dass dort vor Jahrzehnten der Film „Die Brücke am Kwai“ gedreht wurde.

Die Strasse besteht aus Haarnadelkurven und von weit oben kann man schon den Kelanifluss in der Ebene sehen.

Wir liessen unsere übersäuerten Muskeln durchschütteln und während Michel vorne beim Fahrer sass, fielen mir auf der Rückbank ständig die Augen zu. Irgendwie war das Schütteln aber von ungewöhnlichen Rucken begleitet und ich fing an, den alten Mann genauer zu beobachten. Vor allem beim Entgegenkommen von Lastwagen bremste er ungewöhnlich früh und scharf ab, und als plötzlich sein linker Arm wie ein abgesägter Ast vom Steuerrad hinunter neben die Gangschaltung fiel, war mir klar, dass etwas ernsthaft nicht in Ordnung war.

Ich sprach ihn an und er wiederholte immer wieder, er sei O.K., während er aus der Schulter heraus versuchte, den lahmen Arm an die Gangschaltung zu bekommen. Michel brummelte etwas wie „Er sieht gar nicht gut aus...“ und war vor Schock ebenfalls wie gelähmt. Der Wagen wurde immer langsamer und kam auf dem Grasstreifen zu stehen, mit freiem Blick auf den Fluss 150 Meter tiefer.

Kaum hatte er den Motor abgestellt, wurde der alte Mann von fürchterlichen Spasmen geschüttelt. Ich rannte um den Wagen herum, riss die Fahrertüre auf und war wie vom Donner gerührt. Sein linker Arm und sein weit vorgeschobener Kiefer zuckten unkontrolliert und durch die Spasmen im Brustkorb wurde ihm die Luft aus den Lungen gepresst, wobei er die fürchterlichsten Töne von sich gab. Er starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an, während sich seine Zahnprothese langsam aus dem Mund schob.

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass meine Hand zwar willig war, mein Geist sich aber weigerte, diese aufzufangen. Als ein weiterer Van die Strasse herunterkam, trat ich kurzerhand mit erhobenen Armen auf die Fahrbahn und rief dem Fahrer zu, dass wir dringend Hilfe brauchen würden.

Ungefähr zwölf Einheimische kletterten aus dem Wagen und so richtig geholfen haben die nur Michel. Während dieser auf dem Beifahrersitz den Mund offen hielt, war ich nun umringt von zwölf ungläubig glotzenden Einheimischen – nicht ganz: Einer davon nutzte die Pause, um hinters Auto zu kotzen.

Der alte Mann hatte ein erstaunliches Lungenvolumen, wie mir schien, musste er für fast zwei  Minuten dieses markerschütternde „mhoaaah , mhhh, mhhh, mhoaaah“ von sich gegeben haben, als er nach einem finalen „pfffffffffffff......“ in sich zusammensackte.

Ein kurzer Blick in Michels Gesicht sagte mir, dass er Haus und Hof verwettet hätte, dass wir nun nicht nur einen sehr alten, sondern einen sehr toten Fahrer hatten.

Mir erging es ehrlich gesagt nicht anders und ich kramte in meinem Gedächtnis hektisch nach meinen erlernten Kenntnissen aus Nothelferkurs und Herz-Lungen-Reanimation. Puls, Puls feststellen! Zitternd streckte ich den linken Zeige- und Mittelfinger nach seiner Halsschlagader aus, um gleich darauf wie von der Tarantel gestochen diese wieder zurück zu ziehen.

Ich hatte mich bis auf einen Zentimeter an seinen Hals genähert, als der alte Mann unvermittelt seine Augen aufschlug und nach seinen Zähnen fragte.

Ich konnte nur meine Finger anstarren und war mir ziemlich sicher, dass ich soeben die Gutschrift von letzter Nacht verbraucht hatte.

Was es auch war, mit rechten Dingen ist das nicht zugegangen. Er erholte sich unheimlich schnell; nachdem er sich die Zähne wieder in den Mund gesteckt hatte, normalisierte sich auch seine Sprache. Im Wagen der Einheimischen hatte keiner ausser dem Fahrer einen Führerschein und „Ichfahrseit28Jahrenunfallfrei“-Michel weigerte sich, das Steuer zu übernehmen. „Es ist alles auf der falschen Seite, sogar die Strasse!!“, wies er den Gedanken weit von sich.

Es muss der Schock gewesen sein, dass wir uns von dem alten Mann überzeugen liessen, die verbleibenden fünf Kilometer bis Kitulgala ihn fahren zu lassen. Michel sass wie ein sprungbereiter Panther auf dem Beifahrersitz, während ich mich hinten zitternd an den Querstreben festhielt. Er fuhr fast in die Rezeption des Rest Houses und während wir das Hotel betraten, legte sich der alte Mann auf den Rücksitz.

An der Rezeption war man zwar sehr hilfsbereit, aber auf Singhalesisch. Jeder holte einen neuen Angestellten hinzu, der auch nicht englisch konnte. Die fünfte hatte dann eine Uniform an, aber die Hoffnung war von kurzer Dauer, als sie strahlend sagte: „Hello, Madam, can you help me?“

Erst dem Manager konnten wir unsere Situation erklären und er versorgte uns mit der Adresse eines Arztes und einem Tuk-tuk. Also fuhren Michel, der alte Mann und ich auf dem Rücksitz eines Tuk-tuks, den Michels und mein Arsch schon völlig ausgefüllt hätten, zu einem zwei Kilometer entfernten Arzt.

Wir wurden sofort vorgelassen; um ehrlich zu sein, waren gar keine anderen Patienten da und die Einrichtung des Behandlungszimmers entsprach nicht ganz Schweizer Massstäben. Der Arzt hatte jedoch einen Pulsmesser, Block und Bleistift.

Dem singhalesischen Redeschwall des alten Mannes hatten wir nicht viel entgegen zu setzen. Meine vorsichtigen Andeutungen über linken Arm, Spasmen im Kiefer, und – um den alten Mann nicht zu ängstigen – vielleicht ein gaaaanz, ganz kleiner Streif oder so, liess der Arzt nicht gelten und beharrte darauf, dass es lediglich der Kreislauf sei. Bei der Hitze und dem Höhenunterschied von Hatton nach Kitulgala nicht weiter Besorgnis erregend.

Der alte Mann nickte eifrig und zufrieden. Die Rechnung von umgerechnet 1 Franken 20 war auch sehr bescheiden und wir verfrachteten den alten Mann im Rest House in ein Zimmer mit Klimaanlage und bestellten beim Zimmerservice Hühnersuppe – was hätten wir auch sonst tun sollen!?

Dann ging die Telefoniererei mit der Agentur in Colombo los. Wie wir erst später erfuhren, war der Mann auf selbstständiger Basis beschäftigt und wenn er aus irgendeinem Grund nicht mehr gefahren wäre – wegen Todesfall oder so – wäre seine Lizenz verloren gewesen.

Als ich nach dem fünften Telefonat meine Gelassenheit wieder gefunden hatte und sagte, wir hätten einen Van und den dazugehörigen Schlüssel und falls anderntags um 9 Uhr kein neuer Fahrer da wäre, würden wir selber fahren, versprach man uns Ersatz zu schicken.

Gegen Abend kam der alte Mann aus dem Zimmer und versuchte, Michel mit allen Tricks den Schlüssel zu entlocken. Er war auch kaum davon abzubringen, uns selber über Colombo nach Bentota zu fahren. Wir würden uns zu viele Sorgen um ihn machen, liess er nicht gelten und es war wieder einmal an mir, die Diskussion damit zu beenden, dass wir unter keinen Umständen in einem von ihm gesteuerten Auto mehr sitzen würden. Ihm bei diesen Worten in die Augen zu schauen, drehte mir fast das Herz um; ich rechnete mir aber aus, dass ein Unfall für alle Beteiligten weitaus schmerzhafter sein würde.

Wir versprachen ihm hoch und heilig, dass er den vollen Betrag erhalten würde und wir den Ersatzfahrer separat entlöhnen würden.

Auf selbstständiger Basis für eine Agentur zu arbeiten,  heisst nichts anderes, als alle Reparaturen am Wagen selber zahlen zu müssen und nur die Einnahmen zu teilen!

Um Abbitte für meine direkten Worte zu leisten, die ich wohl besser schon vor dem Haus von Mrs. Fernando gesagt hätte, gab ich ihm heimlich ein grösseres Trinkgeld, mit der Auflage,  nach der Rückkehr einen richtigen Arzt aufzusuchen. Heimlich deshalb, weil ich der Ansicht war, dass wir doppelt dankbar zu sein hätten und Michel noch mal Trinkgeld geben würde. Ich war völlig verdutzt, als der alte Mann dies zurückweisen wollte, weil ich ihm schon gegeben hätte!?

In Bentota angekommen, machte der alte Mann einen ziemlich mitgenommenen Eindruck, es war eine herzliche Verabschiedung und wir versprachen, ihn vor unserem Heimflug zu besuchen. Wegen der Flughafennähe verbringen wir meistens die letzte Nacht in Negombo,  und er wohnte nicht weit entfernt.

Nach den Aufregungen genossen wir die Annehmlichkeiten des Bentota Beach Hotels in vollen Zügen, zumal der Muskelkater unerbittlich zuschlug. Wir hatten diesen unverkennbaren „Wir waren auf dem Adams Peak“-Gang, der erst nach mehreren Tagen nachliess, und viel Gesprächsstoff.

Am letzten Tag im Silver Sands in Negombo brachen wir mit einem Tuk-tuk zu unserem versprochenen Besuch auf. Wir fanden das kleine Haus auf Anhieb und wurden herzlich von seiner Frau, der Schwiegertochter und seinen Enkelkindern begrüsst – obwohl Sonntag war, war der alte Mann nicht zuhause. Wir waren schon darauf gefasst, noch einen Besuch im Spital vor uns zu haben, als der Tuk-tuk-Fahrer uns radebrechend übersetzte, der alte Mann sei mit Touristen auf Tour..........

Wir konnten einfach nicht anders!

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